Bericht in der Zürichsee-Zeitung vom 9. August 2003

Roli's Foto-Archiv
Zurück zu Bergkristalle und Mineralien

"Jeder Stein ist eine Antiquität"

Männedorf: Porträtserie "SAMMLER AM ZÜRICHSEE" - Roli Walters faszinierende Kristallwelt

Seit 40 Jahren fasziniert den Männedörfler Roli Walter Reinheit, Struktur, Farbe und Glanz aller Arten von Bergkristallen. Die Suche nach diesen Schätzen der Natur ist Teil seines Lebens geworden. Über 2000 Exemplare hat er minutiös katalogisiert, weit mehr Stücke schmücken die Wohnung und lagern im Keller.

MARIA ZACHARIADIS


Beim Tippen dieser Zeilen kann die Schreiberin nicht umhin, immer wieder auf den kleinen, wasserklaren Bergkristall neben dem Monitor zu schielen. Es heisst, der Bergkristall sei der König der Mineralien. Er ist von funkelnder Reinheit und weist mit seinen sechs Ecken die Form eines Quarzes auf.
Quarz ist neben Feldspat und Glimmer einer der drei Bestandteile von Granit, dem häufigsten Gestein der Schweiz. Auch die kleinsten Spitzen, dünn wie Nadeln, sind makellos, wie wenn sie von Menschenhand geschliffen worden wären. Der Kristall ist ein Geschenk. Roli Walter, den es auf der Suche nach diesen wunderschönen Steinen Jahr für Jahr nach der ersten Schneeschmelze in die Berge zieht, brachte ihn erst vor wenigen Tagen aus dem Glarnerland mit nach Hause.

Vorher schmutzig, nachher klar

Was auf dem Pult und bei Walters hinter Vitrinen funkelt und in allen Schattierungen glänzt, ist meist unscheinbar und schmutzig, wenn der Finder darauf stösst. «Erst nach einer gründlichen Reinigung strahlen die Steine hell und klar», klärt der leidenschaftliche Strahler auf. Er kriecht in die tiefsten Schründe hinein und öffnet Klüfte, bevor er seinen Schatz daraus bergen kann.
Klüfte sind Hohlräume im Innern eines Gebirgs-Massivs, wo die Kristalle schlummern. Vor Ort werden die Steine in Zeitungspapier gewickelt und in Plastiksäcke gehüllt, bevor sie im Rucksack verstaut werden. Die ebenfalls dreckige «Arbeitskleidung» und Werkzeuge werden aus praktischen Gründen am Berg in Fässern deponiert.
Die Kluft wird darauf mittels Farbspray «angeschrieben» und bleibt dem Finder während einem Jahr «reserviert». Unter Strahlern gilt der Ehrenkodex, da werde nichts «geklaut», beteuert Roli Walter.

Ausgleich zum Beruf

Bis zu 40 Kilogramm trägt Roli Walter jeweils auf den Schultern zu Tale. Seit 1991 schätzt er, hat er zusammen mit seinem Glarner Bergfreund und Strahlerkollegen rund sechs Tonnen Stein herunter geholt. «Jede Saison wird im Herbst mit einem Fondueplausch, mit allem drum und dran bis zum Kafi Luz, am Berg gebührend gefeiert», erzählt Walter, der wegen der Sicherheit am liebsten zu zweit unterwegs ist. Nicht mehr missen möchte er als Lehrer den idealen Ausgleich zu seinem eher kopflastigen Beruf, das frühe Aufstehen, die Stimmung des anbrechenden Tages, den sportlichen Aspekt, das Erfahren von physischen Grenzen.

Was sein Vater ihm als kleinem Buben bei einer Wanderung auf der Göscheneralp «als glitzernde Steine vorführte, um uns bei guter Laune zu halten», wie sich Roli Walter an die Anfänge seiner Leidenschaft erinnert, ist zu einem lebensbereichernden Hobby gewachsen.

Hammer, Meissel und Brecheisen

Seit Generationen, machen sich Strahler wie der Männedörfler Lehrer auf die Suche nach den verborgenen Schätzen im Innern der Bergwelt. Keine Mühe ist ihnen dabei zu gross. Mit Hammer, Meissel und Brecheisen ausgerüstet, dringen sie weit hinauf in die Alpen vor, abseits abgetrampelter Pfade, um einer Kluft auf die Spur zu kommen. Meist verrät eine Höhle den Standort. Oder dann weist ein Felsband von unterschiedlicher Struktur auf das Vorhandensein interessanter Funde im Innern des Berges hin.
Einmal gelang es dem Männedörfler, oberhalb des Gotthardpasses eine grosse Kluft mit Rauchquarz, Adular und den begehrten Eisenrosen zu öffnen. Viele Stufen von diese Stelle bereichern nun seine Sammlung. Der 39,5 Kilogramm wiegende Rauchquarz aus dem Tessiner Val Bavona war im Jahr 2001 schon im Urner Mineralien-Museum in Seedorf ausgestellt., Während vier Stunden musste der grossartige Fund vom Permafrost befreit werden.

"Die Klimaerwärmung beschert uns Strahlern Vorteile: Neue Fundorte werden zugänglich."

Suche nach den Strahlen

Der Klimaveränderung kann Roli Walter nur Positives abgewinnen. «Schneearme Winter, das allmähliche Auftauen des Permafrosts und der Rückgang der Gletscher bescheren uns nur Vorteile und bringen neue Fundorte zu Tage, beurteilt er die Lage für Strahler.
Was früher als eine Berufsbezeichnung galt, wird heutzutage als Freizeitbeschäftigung gepflegt, ist in kantonalen Vereinen organisiert und untersteht einer Schweizerischen Dachvereinigung. Strahler müssen je nach Kanton, ähnlich wie Fischer mit ihren Patenten, eine gebührenpflichtige Bewilligung einholen. «Strahlen ist die Suche nach Strahlen, die Bergkristalle im Sonnenlicht reflektieren», erklärt Walter den Begriff. Auch er strahlt nicht minder beim Anblick eines Kristalls.

Kein Dieb, sondern Hüter

Es versteht sich von selbst, dass Roli Walter sich nicht etwa auf Mineralienbörsen eindeckt sondern nur sammelt, was er eigenhändige gefunden hat. «Jeder Stein ist eine Antiquität», sagt er und zeigt mit dem Finger auf die Vitrinen oder zieht eine der unzähligen Schubladen seines Archivs hervor. Er steht im Arbeitszimmer, wo rund 2000 Kristalle katalogisiert sind, mit Funddatum und Fundort. Zu jedem Stein wüsste er eine Geschichte zu erzählen, sein Redeschwall ist nicht zu stoppen.
Plötzlich wird Roli Walter nachdenklich. «Was viele Neider, die im Zusammenhang mit Strahlen rasch einmal von Diebstahl reden, nicht ahnen, ist, dass die Natur die Steine durch die Erosionseinwirkung genauso zerstört, wie sie sie einmal vor Millionen Jahren geschaffen hat», erläutert er.
Nicht als Dieb, sondern als Hüter solcher Kostbarkeiten, die in der Schweiz immerhin ein Alter zwischen 12 bis 60 Millionen Jahren aufweisen, bezeichnet der Männedörfler die Tätigkeit der Strahler, die nicht danach trachten, sich an ihrem Fund zu bereichern. Wenn etwas verkauft wird, dann können höchstens Unkosten, die das Hobby mit sich bringt, gedeckt werden.